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Lektüre-Notizen zu Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch (1859/1869).
- "Der Staat als Kunstwerk":
- In der Einleitung historiografische Vorsicht und Bescheidenheit; sicher ließe sich das alles auch anders interpretieren, und er habe den Text absichtlich einen bloßen "Versuch" genannt. (Zuvor in der Vorbemerkung zur zweiten Auflage auch die Andeutung, vieles würde er heute anders schreiben, aber lieber wolle er das Werk größtenteils in seiner ursprünglichen Form belassen.)
- Wo anderswo in Europa Lehnswesen und Monarchie die Politik formieren, kabbeln sich in Italien Hohenstaufer und Päpste zu sehr, als dass Stabilität eintrete, und im Machtvakuum behaupteten sich viele "Gewaltherrschaften" und Städte. Unter denen entwickeln sich moderne Konzepte des Staates.
- Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen macht im 13. Jahrhundert die Tyrannis in Orientierung ans Kalifat vor, formt eine zentralistische Diktatur, schafft detaillierte Kontrolle der Bevölkerung, reißt den Außenhandel an sich, verfolgt den Eigensinn der Städte. Sein "Vicarius und Schwiegersohn" Ezzelino da Romano metzelt sich mit keinem anderen Recht als seiner Machtgier ein Reich herbei, und gerät damit zum Vorbild nachfolgender italienischer Fürsten.
- Mit "Gewaltherrschaft" bzw. Tyrannis scheint Burckhardt Herrschaften/Fürstentümer ohne politische Legitimation nach damaligen Frameworks (religiös, adels-/erbrechtlich) zu meinen. Ungewählte reiche Machtmänner intrigieren und erobern sich Territorien herbei. Ihre Stäbe und Hof-Intellektuellen rekrutieren sie nach Gefallen und Talent statt nach Stammbaum. Wenn sie sonst nichts legitimiert, dann sollen das halt die Künstler tun, die sie herbei werben.
- Diese wiederum (Petrarca über Gran Cande della Scala) dichten diesen Herrschern die Mission umfangreicher gerechter Steuerung des gesellschaftlichen Lebens an, einer "Staatsallmacht". Tatsächlich entwickeln manche Tyrannen solide und aufgeklärt kalkulatorische Staatskunst, Vorsicht in der Besteuerung, Förderung der Wirtschaft, Verlässlichkeit der Institutionen, machen Bildungsreisen in ferne Länder zum Studium dortiger politischer und wirtschaftlicher Verfahren. Andere spielen Caligula. Manch einer wird von der eigenen Familie um die Ecke gebracht, ehe er den Bogen für den Machtanspruch derselben durch seine Follies überspannt.
- Überhaupt sind die Gewaltherrschaften ohne Rückhalt institutioneller Legitimation einiger Instabilität ausgeliefert: Wer selber nur durch Intrige und Mord an die Macht kam, fällt denselben ebenso schnell zum Opfer. Und da die Stabilität auch an der Stärke und damit Größe der Macht hängt, besteht fortwährend Abwehr- oder Eroberungs-Krieg mit der Nachbarschaft. Unter diesen Bedingungen ist der Spielraum für die Entwicklung gesunder Staatspolitik gerade für die kleineren Herrschaften stark eingeschränkt.
- Noch bis ins späte 15. Jahrhundert erheben sich auch herbeigerufene Söldnerführer ("Kondottiere"), die ihre eigenen Machtansprüche entwickeln, zu solchen Gewaltherrschern, und sammeln sich eigene Fürstentümer als Bezahlung oder Raubgut zusammen. Eine andere verbreitete Klasse illegitimer Herrschaft bilden Bastarde bzw. Abkunfts-Impostoren. Irgendwann verbreitet sich die Idee, in Italien könne man sich noch aus niedrigstem Stand zum Fürsten aufschwingen.
- Mit der Zeit konsolidieren sich einige Herrschaften und bemühen sich um Erwerb von Legitimation durch die Kaiser aus dem Norden, aber oft gerät das zur Komödie, denn vor Ort hat das Volk wenig Respekt für die Kaiserkrone, und die Korruption der Abläufe ist offensichtlich. Der Blick der Italiener auf die politischen Akteure außerhalb ist von Unverständnis geprägt – hier ausgefeiltes politisches Kalkül mit Fokus auf Profitabilität, dort irgendwelche selbstzerstörerischen mittelalterlichen Leidenschaften/Sensibilitäten. Was schert es den italienischen Tyrannen, wenn der Papst ihn exkommuniziert.
- Volksaufstände haben die Tyrannen weniger zu fürchten (Burckhardt liefert wenig Beispiele dafür, dass die Tyrannen das Volk unbotmäßig drangsalieren würden, und selbst wenn, bekäme es sicher nur den einen Tyrannen durch den nächsten ersetzt), eher intrigante Konkurrenten und vereinzelte Fanatiker, die sich gelegentlich an antiken Tyrannenmördern, Brutus usw. orientieren. Am Leichtesten kriegt man die Tyrannen beim GottesDienst, sonst mischen sie sich selten unters Volk.
- Unter den italienischen Fürsten reiften detaillierte Überwachungssysteme, teils aus begründeter Paranoia, teils aber auch zu Zwecken wie der Hofierung von Gästen.
- Die freien Städte des Mittelalters zerbröckeln institutionell unter ständiger innerer und äußerer Konkurrenz und geraten so unter die Gewaltherrschaften. Ach hätten sie sich doch nur föderiert. Stattdessen unterwerfen und beherrschen sie ihre kleineren Nachbarn, und im KonkurrenzKampf holen sie auch die Franzosen und Spanier (erst als Barbaren unterschätzt, doch irgendwann selber mächtige Staaten, die von italienischer StaatsKunst gelernt haben) und sogar die Türken herbei. Der kühle Stratege kennt keine Christen-Skrupel.
- Als übermächtiger Player behauptet Venedig lange seine Freiheit, gilt dermaßen als deren Garant, dass kleinere Städte sich freiwillig anschließen. Droht ihnen fremde Eroberung, entbindet Venedig sie vom Treue-Eid unter weiser Erwartung, die kämen bei nächster Gelegenheit schon freiwillig zurück. Man kümmert sich um die Armen, und pflegt im Kriege sogar feindliche Verwundete vorbildlich. Venedigs gutmütige Übermacht zieht Missgunst konkurrierender Mächte auf sich, mündet in anti-venezianischer Liga von Cambrai.
- Intern hat Venedig Probleme mit der WohlstandsSicherung eines umfangreichen Adels, aber das Problem wächst nie zu einer ernsthaften Bedrohung. Die Kondottiere werden auch nie eins, denn Venedig hält sich viel zu viele, als dass einer sich erheben könnte. Venedig ist eigentümlich religiös, nicht nur im Volke, auch in den Hinterzimmern der höchsten politischen Institutionen.
- Der andere große Player, dem erst die Medici den Weg zur Tyrannis aufzeigen, ist Florenz. Florenz erlebt weitaus mehr innere politische Turbulenzen und probiert so ziemlich alles mal durch (bis zur Theokratie unter Savonarola). Die Außen-/Eroberungspolitik ist unfreundlicher und herrischer als die von Venedig. Das Geistesleben ist spannender, es ist die Stadt von Dante und Macchiavelli.
- Venedig und Florenz (und in Vorstufe Mailand) entwickeln detaillierte Statistik nicht nur militärischer und kommerzieller Dinge als StaatsKunst. Im Lehnswesen brauche man nur die Länder zählen und wisse alles Nötige über zu erwartende Erträge. In den Städten Italiens dagegen musste sich eine Wissenschaft des Wandels demografischer, wirtschaftlicher usw. Faktoren entwickeln, Material für politische Kybernetik. Statistik wird geführt nicht nur über sich selbst, sondern (etwa durchs Tracking von Bankgeschäften) auch den Nachbarn und noch ferne Länder.
- Wie nirgends sonst damals in Europa treten hier Rationalismus und Pragmatismus in der Politik auf, bis zu Anekdoten über gefangengenommene Fürsten, die den Sieger durch reines pragmatisches Argument davon überzeugen, sie ziehen zu lassen und sich mit ihnen zu verbünden. Kein Platz für StandesDünkel oder Mythisierung oder das Recht der Passion.
- Ein ethisch und politisch gleichgültiges, technisch-künstlerisches Interesse an der KriegsKunst entsteht, vielleicht den Fokus der Auftraggeber-wechselnden Kondottiere spiegelnd. Das neueste, auch noch so hinterhältige und zerstörerische KriegsGerät einzusetzen, begegnet wenig Skrupeln, eher einer Begeisterung für Effizienz und Effektivität.
- Achtung, Fomenko: Porcellio relatiert den mailändisch-venezianischen Krieg 1451/52 lateinisch als den zwischen Hannibal und Scipio.
- Rom ist als KirchenStaat und aufgrund des Papsttums etwas eine Anomalie. Das Verhältnis zu Prestige und Legitimation des Kirchlichen ist ambivalent, strahlt offenbar noch hinreichend nach außen, um es mittels Simonie usw. auszubeuten, genügt aber nicht zur Absicherung gegen Angriffe von allen Seiten. Rom muss sich wie die italienischen Fürstentümer durchs selbe MachtKalkül behaupten, und an seine Spitze / zum Papst geraten immer mehr Männer des Typus GewaltHerrscher.
- Als die Spanier in Form der berüchtigten Borgias das Papsttum erobern, finden sie ein gemachtes Bett aus Korruption und Tyrannei vor. Noch auf Cesare projiziert Machiavelli nach Burckhardts Interpretation wohl heimlich die Hoffnung, dem Spuk ein Ende zu bereiten, indem er Rom endgültig säkularisiere. Gerettet wird das Papsttum durch GegenReaktionen sowohl auf seine ärgsten Ausbeuter als auch die Reformation, gegen die es sich dann wieder vor ganz Europa religiös zu legitimieren weiß und fortan ohne arge Korruption auskommt.
- "Entwicklung des Individuums":
- Der Italiener ist der erste moderne Mensch. Ein "Schleier" mittelalterlicher Verfremdungen von Welt- und Ich-Beschau hebt sich von ihm, er entwickelt einen objektiven Blick auf die äußeren, und einen neugierigen Blick auf die inneren Dinge. Der mittelalterliche Mensch sah sich und Andere nur als Funktionen von Rasse, Stand, Heimat; der Italiener sieht sich als freien Agenten.
- VorStufen finden sich schon in den Ketzern bis vor die JahrtausendWende. In den GewaltHerrschaften üben der Tyrann oder Kondottiere höchsten Individualismus, und infiziert damit auch seine hierarchisch und gönnerisch Nächsten; die von ihm Entmachteten und Unterdrückten entwickeln wiederum ihr Individuum in der Flucht ins Private. In den Republiken wiederum entwickelt man seine Individualität, weil aufgrund steten Wechsels der MachtVerhältnisse man sich über keine Stellung profilieren kann.
- Einige der größten Individuen der Zeit strotzen nur so von Kosmopolitismus, der, so Burckhardt gerade in "jeder Bildungsepoche" floriere, wo es viel Neues zu entdecken gilt und das Alte dagegen abkackt; schon bei den Griechen nach den Peloponnesischen Kriegen, die ganzen großen antiken Gestalten waren allesamt schlechte Patrioten. Und Dante bezeichnet die ganze Welt als seine Heimat, und der gemeine italienische Renaissance-Mann weiß seine Exilierung als psychische Ressource zu nutzen, flieht der HeimatStadt von selbst.
- Der neue Individualismus drückt sich aus in einem Drang zur vielseitigen Erfahrung, Bildung und Leistung. Man ist nicht nur diese oder jene gesellschaftliche Funktion, sondern nebenher Gelehrter der Antike, Botaniker und Poet, weiß verschiedenste Genüsse zu würdigen. Man drängt nach Ruhm, nicht nur traditionellem als Herrscher und Krieger, sondern als Künstler oder Charakter oder gar Verbrecher (es gibt keine große MisseTat, die nicht auch glänzen würde).
- Während im nördlicheren Europa nur mythisierend die Leben der Könige und Heiligen niedergeschrieben werden, entsteht in Italien eine breite Literatur der Biografien herausragender säkularer Persönlichkeiten egal welcher Abstammung. Städte bewahren und monumentalisieren die GeburtsHäuser ihrer prominentesten Dichter, weltliche PilgerStätten entstehen. Die Poeten verteilen Ruhm und werden darum angebettelt, wissen um ihre Macht.
- Während der nördlichere Witz gegen Allgemeinheiten wie die Stände moralisiert, fokussiert der italienische auf EinzelPersonen, Dialekte, und die Naivität der kleinen Leute. Gelehrte Abhandlungen über die FunktionsWeise des Humors entstehen, klassierende WitzSammlungen erscheinen. Groß ist die Häme, oft erbarmungslose Hetze gegen noch die freundlichsten Individuen. Am Besten widerstehen die, die dagegen mit den Schultern zucken können. Andere verzweifeln. Besonders potente Häme-Dichter erpressen sich SchutzGeldZahlungen gegen ihre Feder, die schon in regelmäßigen journalistischen Publikationen sozial hinzurichten weiß.
- "Die Wiedererweckung des Altertums":
- Auch im Norden, z.B. unter Karl dem Großen, gab es Wertschätzung der Antike. Aber dort blieb es ein Spiel der wenigen Gelehrten und Könige. Die Renaissance der Antike gerade in Italien ergab sich aus Faktoren wie einem Vakuum an religiöser und politischer Leitkultur, und der konkreten Lebensnähe (der Reste/Spuren) lateinischer Sprache und Kultur nicht nur in Elfenbeintürmen, sondern für jedermann.
- Vom 14. ins 15. Jahrhundert geraten Verehrung und Bewahrung antiker Ruinen in Rom vom Spleen einzelner Poeten zum Staatsprogramm der Päpste. Der Raubbau an alter Architektur hält lange an, aber zumindest klaut man bald wertschätzend statt dem rohen Stein ganze Skulpturen, um sich mit ihrer Vergangenheit zu schmücken. Aus den Flanier-Berichten der Renaissance-Autoren lässt sich rekonstruieren, was damals noch übrig war; wenigstens haben sie rege Inschriften gesammelt.
- Sammlung und Studium antiker Texte wird zur säkulären Liebhaberei, die man sich aber – Texte sind rar, ihre Kopiererei teuer – erstmal leisten können muss. Der antike Kanon wird aus den Klosterbibliotheken ganz Europas zusammengetragen. Der Buchdruck ist noch lange keine Konkurrenz für den gelehrten Kopisten, der vielleicht sogar Griechisch kann – er wird nur später die finanzielle Einstiegshürde zum Studium der Texte senken, und sie damit popularisieren.
- Anfangs kann ein gelehrter Humanist stundenlange Reden aus hochtrabenden Zitaten antiker Autoren und Mythen zusammenflicken, ohne etwas Substantielles zu sagen – die Leute hören trotzdem staunend zu, denn wo sonst könnte man das ganze antike Material aufsaugen? Als die Antike mainstream und durch Buchdruck popularisiert wird, verringert sich dieser Effekt. Das Fetisch-Objekt des Humanismus wird Allgemeingut, was zugleich im 16. Jahrhundert die Humanisten vom Sockel stößt, der Entwürdigung und GegenReformation preisgibt.
- Noch im 14. und 15. Jahrhundert allerdings kann die ehrliche Verehrung etwa der Fürsten für die Humanisten, mit denen sie sich umgeben, kaum überschätzt werden. Klar lassen sie sich beheucheln, aber gleichzeitig spricht aus den Kultur-Politiken der Päpste, der Medici usw. eine jedes kalte Kalkül weit hinter sich lassende Obsession für klassische Bildung und Sensibilität, Poesie, Wissenschaft.
- Für ein Verständnis der hohen Stellung der Rede-Kunst damals bittet der Autor den Leser, sich vorzustellen, wo heute überall in festlichen Kontexten Musik unterlegt werde – da habe man damals gern jemanden reden lassen. Ab einer gewissen Stufe der sozialen Hierarchie wurde Rede-Kunst erwartet, selbst vom geehrten Söldner-Kapitän. Mit leichtem Widerwillen mussten kirchliche Hierarchien Laien-Redner bei religiösen Anlässen zulassen, wenn diese nur renommiert genug waren – Rhetorik-Reputation wog höher als Priester-Weihe.
- Der Renaissance-Politiker hält sich Humanisten als Erzieher und Sekretäre und Redenschreiber, denen kommt als intellektuelle Schnittstelle zum restlichen Apparat damit einige Macht zu. Viele Renaissance-Politiker/Fürsten/Päpste gefallen sich aber auch selbst als Humanisten, und eignen sich die entsprechenden Fähigkeiten durchaus kompetent an. Burckhardt lobt das feine Latein, in dem noch eiligste Notbriefe mancher hoher Gestalt während der StadtPlünderung verfasst worden seien.
- Kontrast der lateinischen Literaturen: Es gibt die schulmeisterlich-sorgsamen aber leblosen Nachbildungen antiker Autoren, aber auch eine lateinische Gegenwarts-Literatur, in der sich die Leidenschaften der Zeit authentisch ausdrücken; Vorstufe dazu sind die Carmina Burana. Dante freilich schrieb schon Italienisch, und das Spannungsverhältnis zwischen Latein und Volkssprache befruchtet beider Literaturen. Die besten Lateiner wirken authentisch antik, weil ihre Texte so gegegenwartsbezogen sind wie die der Vorbilder.
- Es gibt eine zuweilen lächerliche Obsession, Gegenwartsnamen und -begriffe nicht einfach nur zu latinisieren, sondern zu antikisieren. In den lateinischen Texten ist das Italien des 15. Jahrhunderts dann eines der vestalischen Tempel, der Konsuln und Senatoren, alle tragen altrömische Namen (in teils sprachgeschichtlich falscher Rückverwandlung/Archaisierung); skrupellos werden Institutionen der Römischen Republik in die Verschiedenheit der italienischen Politiklandschaften des 15. Jahrhunderts projiziert.
- Der meistbesungene Kriegsherr ist Scipio (noch vor Alexander, noch vor Cäsar), der Maßstab aller Schriftsprache Cicero (manche Humanisten archaisieren noch weiter zurück ins Früh-Lateinische, aber am Ende werden alle auf einen Klassizismus eingeschworen, der eigentlich reiner Ciceronismus ist), Terenz und Plautus in ihren (nun wiederinszenierten) Theaterstücken taugen noch als Autorität fürs Mündliche; Vitruvius ist der Cicero der Architektur. An Philosophen zählt vor allem Aristoteles, Platon erst später.
- Die volkssprachlich-italienische Geschichtsschreibung vor Ausbruch des Humanismus wirkt teils direkter, lebensechter als die lateinische Imitation römischer Historiographen, die folgt, jedenfalls wo sich beides auf die nähere Vergangenheit bezieht. Andererseits wäre eine überregionale volkssprachliche Geschichtsschreibung kaum möglich gewesen, so verschieden die Dialekte; Latein ist notwendigerweise auch die lingua franca Italiens. Regionale (z.B. städtische) Geschichtsschreibung gelingt im lokalen Italienisch besser.
- Eine morbide Anekdote zur allgemeinen (nicht nur elitären) Verehrung der Antike: der angebliche Fund einer durch besondere Witterung lebensecht erhaltenen Leiche einer jungen Frau aus dem alten Rom, die sofort von den Volksmassen bepilgert wurde.
- Der Profi-Humanist lebt unstet, es locken immer wieder hochdotierte aber nur kurzfristige Lehrstühle und ähnliche Posten in wechselnden Städten, das Auskommen hängt stark ab vom eigenen Promi-Status, der sich in ständigem Auf und Ab und Orts-Wechsel befindet; daher auch die ungesunde Besessenheit bezüglich der eigenen Reputation, Gefahr und Notwendigkeit des gegenseitigen öffentlichen Dissing, die psychologische Notwendigkeit auch einer gehörigen Selbst-Überschätzung, um sich glaubhaft bedeutsam zu inszenieren.
- Die Humanisten-umwerbenden Universitäten erhalten die meisten Mittel für staatstragende Juristerei, aber beachtlich dennoch die Gönnerei gegenüber Philosophen und Poeten, mit der fürstliche Sponsoren sie monetär verstatten. Neben regierungsgeförderten Universitäten bilden sich auch private Bildungs-Klubs, wo man Lehr-Aufträge einheimsen, Reden schwingen kann. Humanisten organisieren sich auch zu privaten Akademien, die z.B. antike Stücke aufführen, wo Ur-Fundamente italienischer Bühnenkünste bis zur Oper gelegt werden.
- Noch im 14. Jahrhundert kennt man selbst Homer nur aus lateinischer Übersetzung, aber gemächlich machen sich Lehrstühle des Griechischen breit, und die byzantinischen Exilanten helfen freilich, doch ihr Zustrom ebbt mit Untergang von Konstantinopel ab, und schon Anfang des 16. Jahrhunderts muss der Gräzismus so langsam auf eigenen / autodidaktischen Beinen stehen. Das Griechische studiert man anfangs vor allem für medizinische Texte.
- Auch das Hebräische gewinnt an Interesse, erstmal zur widerlegenden Auseinandersetzung mit jüdischem Denken, dann um endlich die Vulgate durch eine wissenschaftlichere lateinisch-italienische Bibel-Edition zu ersetzen. Einzelne Humanisten erlangen Rabbiner-artige Expertise im jüdischen Geistesleben oder studieren (beruflich entsandt) in Damaskus die arabische Literatur und Philosophie.
- Heidnische Mythologie absorbiert der Humanismus unschuldig – grad weil das Christentum gesiegt hätte, brauche man sie als Mittel/Gegenstand der Kunst nicht fürchten. Christliche Mythologie wird mit heidnischer dekoriert ("römische Götter bestaunen Christkind"-style). Nymphen und andere Sagengestalten werden locker neu erfunden, um Orte und Gedichte ästhetisch aufzuladen. Heidnische Mythologie ist als neu entdeckter Gegenstand einfach reizvoll und tritt daher temporär prominenter auf als die christliche.
- Mit der GegenReformation freilich wachsen die Vorwürfe mangelnder GottesTreue gegen die Humanisten, da helfen die HeidentumsVernarrtheiten nicht grad, ebensowenig die Andeutungen von Irreligiosität hie und da. Oder die mit der seelischen Unstetheit des Profi-Humanisten-Lebens einhergehende gelegentliche Flucht in unsittlichen Rausch. Nicht vergessen darf man dabei aber, dass es einige hochfromme Humanisten gab, moralisch einwandfrei (z.B. die Hof-Lehrer, die reihenweise auch Elende von der Straße aufnahmen und aufzogen).
- Erhebliche Bedeutung Personen-würdigender Sprüceh und Inschriften: Amtsträger, Macht-Haber schreiben große Geldbeträge aus für Kurz-Texte, die ihnen zur Ehre gereichen sollen, es gibt Wettbewerbe usw.; eine schlechte Inschrift kann leicht in ein Spott-Lied umgedichtet werden, diesem Risiko will man sich nicht aussetzen; eine gute dagegen kann wie ein WerbeSpruch sich weit ausbreiten.
- "Die Entdeckung der Welt und des Menschen":
- Die Erkundung der Ferne, da hatte die restliche westliche Christenheit grade mal die Kreuzzüge, die Italiener dagegen auch vorher schon ein HandelsNetz in den Orient, dann die Polos, und allerlei segelnde Entdecker bis zu Columbus. Wo eine Entdeckung nicht direkt durch einen Italiener stattfand, da gilt sie Burckhardt eher als Zufall, bei den Italienern dagegen gab es einen echten EntdeckerGeist, deshalb zählt sie bei denen auch.
- Die Kirche hat den NaturKundlern und selbst den Astrologen allerlei durchgehen lassen; vermeintlich dogmatische Prozesse würden sich bei näherer Betrachtung eher als politische Intrige denn intellektueller StarrSinn erweisen.
- Vor allem katalogisch trägt Italien zur Entwicklung der NaturWissenschaft bei: Sammeln von PflanzenArten (die Schönheit der Gärten drückt sich noch nicht in ihrer Architektur aus, sondern der Vielfalt des GrünZeugs), TierArten (das Klima trägt exotischste Importe, die man teils zum Jagen abrichtet, teils altrömisch für blutrünstige öffentliche Kämpfe, vielleicht auch Hinrichtungen hält), MenschenRassen (MenschenZoos, teils versklavt erworben; weiße Christen immerhin konnten sich frei-arbeiten, Schwarze nicht).
- Der christianisierte Germane erhält seine Mystifizierung der Natur, indem er sie mit Zauberei und Dämonen bevölkert. Der Italiener dagegen gelangt zu einer Aberglauben-freien modernen ästhetischen Sensibilität für die Schönheit der Natur, die sich darin zeigt, dass nur er die Landschaft, die Ferne zum sinnlichen Genuss erhebt. Dante, Petrarca, "Aeneas Sylvius" (Papst Pius II.) entwickeln und legitimieren die Narretei, einzig für den Gipfel-Ausblick Berge zu ersteigen (anfänglich schämt man sich dafür noch).
- In Italien entwickelt sich eine neue Sensibilität (z.B. für den Blick auf die Landschaft) zuerst geistig und sprachlich/poetisch, ihr beispielsweise malerischer Ausdruck folgt erst einige Jahrzehnte später; anders als z.B. im Norden bei den flandrischen Malern, deren Werke einen Zugang zur Welt ausdrücken, den die Literatur dort erst viel später finden wird. (Erstaunliches Beispiel: obsessiver Detaillismus, mit dem ein italienischer Autor weibliche Schönheit an anatomischen Details beschwört – lange vor örtlichen Malern?)
- Burckhardts ständiges Beschwören verschiedener VolksGeister und ihrer Spezifika wirkt ihm irgendwann selbst waghalsig; er entschuldigt sich, diesen oder jenen Punkt könne er gerade mal durchs Erahnen begründen. Anderswo findet er für jede Ausnahme von seinen Postulat der italienischen Besondersheit Ausreden im Niveau, dieser Aspekt hätte sich sicherlich ohne den Einbruch der Spanischen Inquisition ordentlich ausentwickelt, oder ein nicht-italienischer Shakespeare sei halt ein singuläres Genius-Ereignis für ganz Europa.
- Die italienischer VorreiterRolle im Herausarbeiten individueller Psychologie fehlt gerade im Theater, das eher vom Spektakel dominiert ist (zu dem im Norden die künstlerischen Mittel fehlten, was vielleicht erklärt, dass es dort eine andere Richtung einschlug), der Improvisation (siehe auch die aufkommende Commedia dell'arte), den tänzerischen oder kleinkünstlerischen ZwischenSpielen. Der dramatische Autor schreibt Vorlagen für Zirkus- und RedeKünstler statt dialogischen Charakter-Porträts.
- (Denke mir zu den Bemerkungen über das italienische Renaissance-Theater-Spektakel stets Greenaways The Baby of Macon als Illustration dazu.)
- Stattdessen aber eine (schon erwähnte) reiche Biografien-Literatur, die mit der Zeit das Persönliche, Individuelle immer mehr hervorhebt, psychologisiert, auch autobiografisch. Paradox, wie man hier noch die Lehre von den vier Temperamenten und die Astrologie als Rahmen für Charakter-Beschreibung vorfindet, aber sicher (!) haben die Autoren damals mit diesen Mustern schon mehr beschreiben wollen als nur mittelalterliche Kategorien.
- Das Sonnett wird erfunden und gerät bald zum Allerwelts-Förmchen wie im Web 2.0 der Tweet. Anfangs ist es noch hohen lyrischen Gegenständen vorbehalten, bald dichtet darin jeder über jede Kleinigkeit – die Form (dramaturgisch potent, leichte Erlernbarkeit/Erinnerbarkeit garantierend) ist einfach zu verführerisch, und schluckt locker auch Mittelmaß und Banalität, sodass die meisten Sonnette, die entstehen, keines Gedichtbandes würdig wären.
- Die Literatur entfaltet große Neugier für die Vielfalt des menschlichen Lebens, die Kleinigkeiten des städtischen Alltags, sogar des Ländlichen (in Italien sind die Bauern nicht so geknechtet und ans Land gezwängt wie im Norden, man rümpft über sie nicht die Nase und schenkt ihrem Leben denselben präzisen Blick wie allem Anderen auch). Bisher gab's das höchstens zum Zwecke der Satire, nicht als Genuss am Leben an sich.
- Schönes Teilhard-de-Chardin-artiges Schluss-Zitat von Pico della Mirandola: der Mensch von Gott geschaffen, um den Kosmos zu erkennen und zu verstehen und zu bewundern. Steht auch für einen italienischen Humanismus, der den Menschen an sich würdigt, unabhängig seiner Geburt, die Menschheit im Ganzen feiert.
- "Die Geselligkeit und die Feste":
- Während im Norden Adel und Kirche sich deutlich separieren, leben sie in den italienischen Städten mit den Bürgern Seite an Seite. Auch sonst wird dem Adel kaum eine Besonderheit zuerkannt gegenüber dem gutgestellten Bürger. Geachtet werden Reichtum und Bildung, dazu gewährt Adel oft Voraussetzungen, aber nicht exklusiv. Es gibt eine eher modische Manie zum Rittertum, weil das dazu gehört, wenn man im Turnier mit Lanzen aufeinander zureitet. Adels-Spleens wie die Jagd erhalten nicht mehr Respekt als jedes andere Hobby.
- Die Renaissance-Modernismen enden mit Einbruch der Spanier und Franzosen in die italienische Politik, da zählen dann Adelstitel und ähnliche Statussymbole auch wieder mehr als produktive Geschäftigkeiten.
- Die Italiener feiern die Vielfalt der Kostümierung und lassen sich nur selten durch Standes-Regeln oder dergleichen darin beschränken. Zu bestimmten Zeiten trug kein Bürger dasselbe Outfit wie ein anderer, kreative Individualisierung war alles; für Burckhardt deutlicher Kontrast zur Konvention seiner Zeit, in der Kleidung bloß nicht aufzufallen, hervorzustoßen. Raffinesse bis Übertreibung auch im Schminken usw. Man will auffallen. Vielleicht hat man das in den großen städtischen Kostüm- und Schmink-Festen gelernt.
- Auch sonst große Verfeinerung in der Architektur und den Gegenständen des persönlichen Komforts, der persönlichen "Toilette". Kein Volk war in Europa so reinlich wie die Italienier; als besonders unreinlich galten die Deutschen. Auch der Umgang miteinander entwickelt hohe Zivilisiertheit, in leichter Reibung mit einigen regionalen Neigungen zum derben Späßchen. Der Umgang miteinander gewinnt eine hohe Neutralität – wie Kosmopolitismus sie erfordert.
- Viele Seiten Lob zur Entwicklung der Sprache; Dante leistet einen Luther mehrere Jahrhunderte früher, und noch zu Burckhardts Zeit könne man selbst im bäuerlichsten Milieu der Befähigung zum feinsten Italienisch begegnen, und einer breiten Alphabetisierung.
- Die (zumindest männliche) Liebhaberei neben der Ehe bedroht den Familien-Frieden bei Weitem nicht so wie weiter nördlich in Europa, wo die familiäre Monogamie wohl irgendwas Natürlicheres hat. Von den Liebhaberinnen erwartet man sich Intellektualität/Sophistication, der Ruf einiger Frauen für die ihre gilt weithin. Auch mit einer Ex-Geliebten bleibt man auf gutem Fuß, schätzt sich weiter gegenseitig.
- Während der Adel sich in Italien im Stadtleben gefällt, gefällt sich der wohlhabende Bürger auch auf dem Land und hält sich dort quasi-römische Villen. Das Ideal einer wohlhabenden bürgerlichen Familie ist die Fähigkeit zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung, also gehört so Einiges an Grundstück und Bewirtschaftung dazu.
- Die bürgerliche Erziehung setzt auf Autorität der Vernunft statt auf Prügel, ganz im Gegensatz etwa zu Deutschland.
- Die Frauen gelten nicht geringer als die Männer, der Renaissance-Bürger will seinen Töchtern die gleiche erhebende Bildung zukommen lassen wie seinen Söhnen, wie sonst auch sollten sie sich in geselliger Runde schlagen. Die Literatinnen schreiben wie Männer, statt sich eine weibliche Nische zu basteln. Burckhardt betont Unterschiede zu seiner bürgerlichen Gegenwart, wo das weibliche Wesen viel fortdifferenzierter gilt und gerade in seiner Verschiedenheit als Komplement zum Männlichen im Familien-Glück.
- Viele Seiten lang werden pompöse Mysterien-Spiele, Triumph-Züge (zuweilen direktes Nachspielen altrömischer), religiöse wie säkuläre Prozessionen großer Inszenierungs-Wut beschrieben, und der Karneval nach den Schiffswägen "carrus navalis" etymologisiert, die oft dazu gehörten. Einsatz mehrstöckiger Maschinen, wildeste Verkleidungen mit waghalsigsten Bedeutungs-Akrobatiken. Alles sehr Fellini/Ferretti. Fußnote zum goldgefärbten Kind, das vielleicht durch seine Färbung starb.
- Das ganze europäische Mittelalter gefällt sich im unverständlichen allegorischen Inszenieren: König tritt als ein bestimmtes Gebäude verkleidet auf, das durch jene Geste für dieses historisches Ereignis oder eine Fabel oder eine abstrakte Kategorie stehe usw. War damals kaum verständlicher als heute , musste oft dazu erklärt werden. Italienisch ist, dass neben Allegorien-Figuren auch historische/legendäre Individuen gern inszeniert werden als für diesen oder jenen Sachverhalt stehend.
- In der Musik experimentelles Bemühen um neue Klänge im Erfinden von Instrumenten. Das Selber-Musizieren in geselliger Runde gehört zum guten Ton (Burckhardt verwendet den Begriff "Dilettantismus" sehr oft, rein positiv), auch kleine Orchester finden sich schnell zusammen. Nur die menschliche Stimme, die gilt es in Isolation statt Mehrstimmigkeit zu hören, nur so lässt sich das Individuelle würdigen.
- Etablierung künstlerischer/intellektueller/politischer Salons, oft angeleitet schon von rennomierten Gesellschafts-Damen, mit Esprit-fördernden Ablauf-Regeln, deren Rahmen auch provokantere Lieder, Erzählungen usw. ohne Sprengung der Situation verdaulich machte.
- "Sitte und Religion":
- Schlechtes Gewissen des Autors, National-Mentalitäten zu behaupten: Man dürfe es sich da nicht zu einfach machen, und vielleicht seien die sogar so mystisch-unergründbar, dass jede Behauptung über sie problematisch. Dann fährt er fort, die Mentalitäten des Renaissance-Italieners aufzulisten: Ehre (Kombination edler Instinkt und Selbstsucht), Fantasie, Spiel-Freude (zuweilen: Spiel-Sucht), Toleranz, Subjektivität; keineswegs: Heuchelei, Naivität.
- Rache pflegt man nicht wie im Norden brausend, sondern feinsinnig-ästhetisch und gern auch abgewartet. Manch einer scheint das Böse um seiner selbst willen zu zelebrieren. Die Obsession mit Giften nimmt phantastische Ausmaße an, angenommen werden sie überall, und behauptet werden technische Unmöglichkeiten wie etwa auf Tage im Voraus stundengenau terminierare Pulver.
- Die Renaissance-Italiener zeigen "antihierarchischen Unwillen" gegen Staat, Justiz, Kirche, die sich allesamt ihre Legitimation fortwährend abgraben, indem sie offenkundig einfach das Recht des Stärkeren praktizieren, und locker an den Nächst-Stärkeren verlieren. Da bleibt der Respekt des Individuums vor den Institutionen gering. Gesetzlose Phasen sind häufig; es gibt backwaters von Neapel, da gilt jeder Fremde als Freiwild; die Bauern beichten dem Pfaffen absurden Kleinkram, aber bereuen keinen Mord an Unbekannten.
- Größte Verachtung gilt den Mönchen, insbesondre den Bettler-Orden, wohl auch weil diesen oft polizeiliche Funktionen zugeordnet sind. Man schreibt von den Kinder-Skelett-Bergen massenhaft abtreibender Nonnen, und beschwört die Aufhebung des Fegefeuers, um den Klostern die Grundlage ihres Reichtums zu nehmen. BußPrediger immerhin peitschen Städte zu einigem religiösen Enthusiasmus auf, entstammen aber oft den niedrigsten Rängen oder rekrutieren sich gar aus ordensfreien Eremiten.
- Selten lässt sich kirchliches Dogma durch ScheiterHäufen durchsetzen, Hinzurichtende werden schamlos befreit, und noch für Savonarolas Verbrennungen der Luxus-Güter und bösen Bücher müssen den Sammlern bald Bewaffnete zur Seite gestellt werden, weil sich der Enthusiasmus zur Herausgabe in Grenzen hält. Im antiliberalen Theokraten Savonarola immerhin schimmert kurz der Keim auf für eine National-Kirche, zu der es dann freilich doch nicht hinreichte.
- Da die Mädchen weggeschlossen werden, richtet sich das Begehren der Männer natürlicherweise auf EheFrauen Anderer; die werden auch eher als aus-entwickelte Individuen geschätzt. Im Ehe-Betrug sind die Frauen moralisch relativ zu den Sitten im Norden aber nahezu gleichberechtigt. Ehren-Morde an ihnen freilich gibt es trotzdem, aber abgewehrt wird hier weniger ein tief empfundener Verrat als die Demütigung der Familien-Ehre in äußerer Einschätzung.
- Richtige philosophische Atheisten findet man keine, aber viel Indifferenz und auch fatalistischen Unglauben an die Unsterblichkeit (gescholten als Häresie des Epikuräismus) oder zumindest irgendwelche konkreten Jenseits-Versprechen/Drohungen. Selbst wer sich gläubig nennt interessiert sich wenig für Begriffe von Sünde und Reue, es regieren eher praktisch-weltliche Ethiken. Allgemein verbreitet ist ein nicht allzu dogmatisch-christlicher, unsystematisch aus allen Richtungen ausgemalter Theismus.
- Große Verbreitung von Schicksals-Mythologien wie der Vorzeichen-Kunde oder der Astrologie, bis hin zu Universitäts-Lehrstühlen der letzteren. Es mangelt aber auch nicht an Skeptizismus ihr gegenüber. Manch einer trägt sein ganzes Leben an irgendwelchen astrologischen Vorhersagen darüber, von woher im Gefahr droht, und orientiert sich daran. Das kann auch befreiend wirken, insoweit zum Beispiel ein Kondottiere, der weiß, er werde auf dem Schlachtfeld sterben, keine Krankheit fürchtet, die ihn ans Bett bindet.
- Die hiesigen Vorstellungen der Hexen unterscheiden sich von der nordischen Hysterie: Statt dass man ihnen wilde Feste mit dem Teufel unterstellt, sind die hiesigen "strega" halt einfach Frauen mit okkultem Wissen, das sie zum Erwerb ihres Unterhalts nutzen, vor allem durch Divination und die eine oder andere Verzauberung. Der Übergang zu den Vorhersage-Künsten der Astrologen ist fließend, manch einer war wohl auch halbwegs ein Zauberer. Manch Scheiterhaufen inspiriert überhaupt erst dazu, es mal als Hexe(r) zu versuchen.
- Telesmata: Artefakte, zuweilen ins Unsichtbare vergraben, an denen das Schicksal einer Stadt hängen soll.