Zwischen-Bericht
Zwischen-Fazit sechs Monate nach meinem Absprung aus dem Angestellten-Dasein: Läuft.
Kapitalismus-Tribut
Mein ursprünglicher Zeitplan: Ich gönne mir die ersten Monate ab Januar etwas Auszeit, und zur Frage des künftigen Geschäftstreibens grübele und experimentiere ich ergebnisoffen rum – erst danach wollte ich mich zielgerichtet nach neuen Einkommensquellen umschauen. Diese Rumstocher-Phase geriet (vielleicht zu) kurz: Schon im Februar begann ich mit zwei nicht kleinen Programmier-Aufträgen; einer davon hält mich immer noch auf Trab.
Diese anfängliche Doppel-Beauftragung erwies sich als etwas viel Volumen auf einmal. Im Februar und März musste ich aufpassen, mich nicht zu übernehmen. Infolge habe ich dann erstmal mein Informatik-Fernstudium auf Eis gelegt (und da liegt es immer noch). Nach Abschluss des einen Auftrags komme ich mit meinem verbleibenden Arbeitspensum einigermaßen klar: Die Arbeitsmengen, die ich jetzt erfasse/abrechne, liegen selten über 16 Stunden pro Woche. Mehr produktive Arbeitszeit hatte ich nach meinem Empfinden auch zur 32-Stunden-Woche meines Angestellten-Büroalltags kaum; mit dem Unterschied, dass ich die übrige Büro-Zeit nicht meiner Freizeit eingliedern konnte. Außerdem muss ich jetzt dank Heim-Arbeit keine gute Stunde je Arbeitstag mehr im Rush-Hour-ÖPNV zubringen, und kann mir meine Arbeitszeiten beliebig selbst stückeln und legen.
Dieser teilweise Rückgewinn an Souveränität über meine knappe Lebenszeit tut mir sehr gut. Mein Tagesrhythmus kommt mir entspannter vor; ich schlafe aus, und nappe, wenn mir danach ist. Ich frühstücke öfter, bewege mich beim Arbeiten mehr hin und her (nachdenken kann ich am Besten, wenn ich auf und ab gehe). Ich kann viel Haushalts-Kram nebenbei bzw. in kleinen Arbeits-Pausen erledigen. An meiner Aufmerksamkeit zehrt nicht ständig die Präsenz anderer Menschen. Ich kann mich besser um mich selbst und mein Wohlbefinden kümmern. Hoffentlich kann ich diesen Rückgewinn an Selbstbestimmung verteidigen.
Ob mir das gelingt, hängt stark ab von meiner künftigen Auftragslage und meinen Finanzen. Im Augenblick bin ich auftragsmäßig versorgt, langfristig schau ich mich auch nach weiteren Auftraggebern um. Die Finanzen sehen OK aus: Ich habe das letzte Halbjahr durchgerechnet, und es wich in den Ausgaben kaum von meinen Budget-Plänen ab. Was bei mir derzeit an Geld reinkommt, fängt diese Ausgaben auf – mein Durststrecken-Puffer-Notvorrat hat kaum gelitten. Weit voraus kann ich mit den Einnahmen noch nicht planen – mal schauen, wie sich Ausgaben und Einnahmen am Jahresende zueinander verhalten. Liegt die Differenz (nach Abzug von Steuern) nur bei Null, macht das meine Finanzierung noch nicht tragfähig – denn irgendwas muss ich ja für die Altersvorsorge beiseite legen.
Leben
Vollmundig hatte ich im Januar angedeutet, es würden sich bei mir diverse Projekte jenseits der Erwerbstätigkeit aufstauen – und dass ich über manche davon hier vielleicht berichten würde. Jetzt lag das Blog seit Anfang Februar fünf Monate brach. Naja! Aber als knappe Übersicht wenigstens – ich habe u.a.:
- Den ersten *Culture*-Roman gelesen – ein bisschen viel Räuberpistole für den Einstand des Weltraumkommunismus. Aber ich les mal weiter.
- Sehr gelegentlich Keyboard-Spielen geübt. Mehr als eine einfache Philip-Glass-Metamorphose darf man von mir nicht erwarten. Und die ersten paar Takte von BWV 846.
- Mir ein neues (altes bzw. 2012er/refurbished) Thinkpad (W530) mitsamt dem neuen Debian (Stretch) erschlossen und konfiguriert (und mir dabei etwas Ansible beigebracht – denn ich automatisier mir ja gern das Aufsetzen meiner Systeme in wiederverwendbare Skripte).
- Weiter an persönlichen Code-Steinbrüchen gewerkelt, z.B. meinem Magic-Karten-Verwalter, und einem möglichen Nachfolger meiner PlomRogue-Engine.
- Mit Freunden die britische Jugend-Serie *Skins* angefangen (fast durch), deren (IMO ziemlich neutrale) Darstellung von Drogenkonsum zu den besseren gehört, die mir bisher im Unterhaltungsfernsehen untergekommen sind.
- Start-Episoden von zwei verschiedenen Podcasts mitgesprochen – noch keine davon ist bisher veröffentlicht. (Einmal ging's um freies Microblogging von twtxt bis Mastodon, einmal um Utopien, Futurismus und Kommunismus.)
- Große Teile meiner Kleidungsbesitzstände katalogisiert – als ersten Schritt, Manches davon wegzuwerfen, auszutauschen, oder zu erweitern. Bisher behandelte ich meine Kleidung und mein äußeres Erscheinungsbild sehr stiefmütterlich, das würde ich gerne ein bisschen ändern.
- In Bielefeld wieder die Post-Privacy-Keule rausgeholt. Zur Vorbereitung re-las ich mein eigenes Buch zum Thema. Finde es immer noch erträglich. William Manchester würde ich heute nicht mehr als Orientierungspunkt referenzieren; das Datenschutz-Kapitel leidet unterm dramaturgischen Zwiespalt, seinen Gegenstand gleichzeitig als gefährlich und zahnlos zu inszenieren; und würde ich heute Aufklärung durch Transparenz beschwören, müsste ich mich irgendwie zu den WikiLeaks-Nebelmaschinen verhalten.
- Mich etwas mit Klang-Technik beschäftigt – um meine regelmäßigen Videoabende zu retten, denn meine Sound-Anlage gab den Geist auf. Weiß nun: Will ich audiophil werden, fange ich anschaffungsmäßig besser mit Kopfhörern an. (Seriöslich, vielleicht mache ich das – mancher Techno-Klang aus ordentlichen Maschinen hat mich nachhaltig vibriert. Zur Rettung meiner Heimkino-Anlage indes habe ich die billigsten Teile bestellt, die eBay hergab – mehr lohnt sich bei der Akustik meiner Wohnräume nicht.)
- Ein bisschen bei einem bestimmten politischen Kongress/Zeltlager mitgeholfen. Bei der Gelegenheit konnte ich auf dem (umfangreichen) Veranstaltungs-Gelände endlich wieder etwas Fahrrad-Fahren üben – mit dem tollen plom:bike, das ich vor ein paar Jahren geschenkt bekam. (Hier in der Stadt trau ich mich das kaum.)
- Nach Jahren (irgendwann war ich mal auf identi.ca) in die OStatus-Welt zurückgekehrt, dank Mastodon-Hype. Das Browser-Mastodon ist ein grausliges JavaScript-Ungeheuer, und für mein n900 gibt es bestimmt keine Apps. Aber ich fühle mich im Fediverse ganz wohl. Mit 500-Zeichen-Limit kannibalisiert Mastodon Einiges vom "dafür sind 140 Zeichen zu knapp"-Mitteilungsdrang, für den ich das Blog hier baute. Vielleicht schreib ich meine eigene OStatus-Instanz (die das Blog hier ersetzt). Ein bisschen habe ich damit schon angefangen.
- Mit einigen mich schon lange plagenden inneren und zwischenmenschlichen Hemmungen im Kopf mal beim Psychotherapeuten vorgesprochen. So wurde mir jetzt etwas Sozialphobie (F40.1) diagnostiziert. Vielleicht beginne ich eine Therapie.
Vor allem der letzte Punkt ist für mich persönlich grad recht bedeutungsvoll. Gut, dass ich für sowas jetzt wieder die Zeit bzw. den Kopf frei habe.